Einfädeln ins Nadelöhr

Ruanda / Uganda / Kenia

20.10.2016 - Nairobi (69769 km)

Der Grenzübergang zwischen Tanzania und Ruanda ist gut organisiert. Das beginnt schon mit dem Seitenwechsel vom Links- auf den Rechtsverkehr. Hinter der Brücke über den Kagera-Fluss trennen sich die beiden Fahrspuren, um sich gleich darauf zu kreuzen. Für ein paar Tage werde ich nun auf der rechten Straßenseite radeln.

Der Kagera bildet die Grenze zwischen Tanzania (rechts) und Ruanda. Der Fluss wird mitunter auch als Schwarzer Nil oder Kagera-Nil bezeichnet. Er ist der größte Zufluss des Victoriasees, der wiederum der Quellsee des Weißen Nil ist.

Die Ein-/Ausreiseformalitäten beider Länder werden praktischerweise in einer einzigen großen Halle abgewickelt, in der die Schalter der tanzanischen und ruandischen Immigration direkt nebeneinander liegen. Bei den Ruandern bekomme ich das sogenannte Ostafrikavisum, das für Ruanda, Uganda und Kenia gültig ist und 100 US-Dollars kostet (*). Innerhalb von 90 Tagen darf man damit beliebig oft zwischen diesen Ländern hin- und herwechseln.

(*) Zur Info: Das Visum ist nicht ohne Voranmeldung zu bekommen; es muss ein paar Tage vorab via Internet bei den ruandischen Behörden beantragt werden. - Es ist übrigens auch erlaubt, zwischendurch aus dem Gebiet Ruanda-Uganda-Kenia aus- und dann innerhalb der 90 Tage wieder einzureisen. Diese Bestimmung scheint jedoch an kleineren Grenzübergängen nicht immer bekannt zu sein.

Nachdem alles erledigt ist, will ich schon durchstarten, da stoppt mich ein Uniformierter vor einer offenen Schranke. "You want to see my passport?" frage ich. - Nein, er will meine Taschen durchsuchen. Ich muss alles abladen und in ein kleines Gebäude schaffen. Dort geht der Mann streng jede einzelne Packtasche durch, stellt nebenbei aber auch interessiert eine Menge Fragen zu meiner Reise. Netterweise nimmt er mir während der Durchsuchung meine Plastiktüten nicht weg. Wie im Reiseführer zu lesen ist, gibt es in ganz Ruanda nur Papiertüten, und mitgebrachte Plastiktaschen können konfisziert werden. Das wäre schade, denn meine zwei Exemplare sind die besten der Welt, sie stammen aus dem "Shoprite" in Malawis Hauptstadt Lilongwe und sind so superfest, dass sie wohl bis nach Deutschland durchhalten werden.

Wechsel von Links- auf Rechtsverkehr zwischen Tanzania und Ruanda

Der Uniformierte und ich bleiben also Freunde, am Ende ist alles gut. Aber das war schon arg umständlich, eine der gründlichsten Durchsuchungen auf dieser Reise bis hierher. Meistens kam ich ganz ohne Kontrolle der Taschen über die Grenzen.

Der Bann gegen Plastik bezieht sich übrigens nur auf Einkaufstüten. Einwegflaschen aus Kunststoff gibt es in Ruanda reichlich. Dennoch ist das Land außergewöhnlich sauber, kaum irgendwo sehe ich eine achtlos fortgeworfene Verpackung am Straßenrand. Es herrscht ein ganz anderes Umweltbewusstsein als in den Nachbarländern, wo die Straßen gesäumt sind von Abfall.

In der ehemals belgischen Kolonie Ruanda war Französisch immer die erste Fremdsprache, auch die weiterführenden Schulen unterrichteten in Französisch. 2008 jedoch stellte die Regierung das Bildungswesen auf Englisch um. 2009 wurde Ruanda sogar Mitglied des Commonwealth, obwohl es keine früheren kolonialen Beziehungen zum Königreich gab. Ziel der Regierung ist es, das Land politisch und wirtschaftlich nach Ostafrika auszurichten.

Als ich kurz hinter der Grenze jemanden mit einer Machete in der Hand sehe, schaudert mir. Die Machete an sich ist in Afrika nichts Besonderes. In den letzten Monaten habe ich Hunderte, wahrscheinlich sogar mehr als tausend Menschen mit Macheten in der Hand gesehen. Die langen Messer sind in den Savannen- und Tropenländern ein Arbeitsgerät wie die Handhacke eines Bauern. Die Menschen mähen damit langes Gras, lichten Sträucher und Bäume, hauen die Fruchtstände aus den Bananenstauden heraus.

Doch in Ruanda ist die Machete mit schlimmen Erinnerungen verbunden: Sie war während des Genozids vor 20 Jahren die am häufigsten verwendete Mordwaffe. Fast eine Million Tutsi und moderate Hutu fielen im Frühjahr 1994 den Milizen von Hutu-Extremisten zum Opfer.

Das Genocide Memorial in der Hauptstadt Kigali arbeitet dieses düsterste Kapitel Ruandas auf. Die Bilder sind so grauenvoll, dass ich an einigen schnell vorübergehen muss. Hutu verfolgten mit unvorstellbarer Brutalität die Minderheit der Tutsi, die in der Kolonialzeit als das überlegene Volk bevorzugt wurde. Auch das Versagen der Vereinten Nationen wird in der Gedenkstätte beschrieben; man nimmt an, dass die 5000 Soldaten, die für die Evakuierung von Ausländern gestellt wurden, auch ausgereicht hätten, das gnadenlose Metzeln vorzeitig zu beenden. Der Children's Room geht auf Einzelschicksale von Opfern zwischen ein und 17 Jahren ein. Eine kleine Tafel vor dem Foto jedes Kindes nennt das Alter, das Lieblingsspielzeug, den besten Freund, die Lieblingsspeise, teilweise auch die letzten Worte. "UNAMIR wird uns zu Hilfe kommen", hat einer von ihnen gesagt (*). Die letzte Zeile auf jeder Tafel sagt, wie das Kind ermordet wurde: erschlagen, erstochen, verbrannt oder getötet mit einer Machete. Nach 100 Tagen unfassbarem Wahnsinn war - so drückt es das Memorial Center aus - "Ruanda tot".

(*) UNAMIR war eine für Ruanda zuständige Unterorganisation der Vereinten Nationen.

Kigali

Würde man die Geschichte Ruandas nicht kennen, würde man heute als Besucher von der dunklen Vergangenheit nichts ahnen. Das Leben hat sich in den mehr als 20 Jahre seit dem Völkermord normalisiert. Kigali ist eine geschäftige, moderne afrikanische Hauptstadt.

Mein Weg durch das kleine "Land der tausend Hügel" ist 250 Kilometer kurz. Noch am Tag des Aufbruchs in Kigali stehe ich an der Grenze zu Uganda. Hier läuft der Wechsel zurück zum Linksverkehr ohne System ab. Die Verkehrsteilnehmer müssen das unter sich ausmachen.

Kurz vor Kampala kehre ich auf die Nordhalbkugel zurück.

Drei Tage fahre ich nach Kampala durch. Die ugandische Hauptstadt bietet auf meiner Route erstmals die Möglichkeit, das Visum für Äthiopien zu beantragen. Weder in Zambia noch in Malawi hat Äthiopien eine Vertretung, nicht einmal in Tanzania und schon gar nicht im winzigen Ruanda. Da ich von Schwierigkeiten auf der äthiopischen Botschaft in Kampala gehört habe, bin ich gut vorbereitet. Neben dem ausgefüllten Visumantrag bringe ich einen "Letter of Introduction" mit, in dem ich erkläre, dass ich das Visum wegen der Länge meiner Reise nicht in Deutschland beantragen konnte. Außerdem darin die Skizze meiner bisherigen Reiseroute, der Hinweis auf sieben frühere Besuche Äthiopiens, die Kopien einiger Visa von damals und ein dezenter Hinweis auf meine vielen Einsätze für Karlheinz Böhms "Menschen für Menschen", dieser Hilfsorganisation, die ausschließlich in Äthiopien arbeitet.

Schon Joyce, die Dame an der Rezeption, will mich abwimmeln. Wenn ich kein Uganda Resident sei, also keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis für Uganda hätte, könne ich das Visum hier nicht beantragen. Nach einer langen Diskussion ruft sie über den Hausapparat die Konsulin an. Mit dem Hörer am Ohr diskutiere ich auch mit ihr ewig, bevor sie mich endlich in ihr Büro im ersten Stockwerk vorlässt. Sie liest sich meinen Letter of Introduction durch und sagt, sie könne ihn zwar bei der Immigration einreichen, aber es sei verlorene Zeit für uns beide - mein Antrag würde dort abgelehnt werden. Immer wieder verweist sie auf die "rules", die ja auch auf der Website der Botschaft nachzulesen seien.

"Ja, ich habe sie gelesen. Aber es muss doch in Ihrer Macht stehen, in diesem besonderen Fall eine Ausnahme zu machen."

"Sie haben ja die Möglichkeit, nach Addis Ababa zu fliegen", erwidert die Konsulin. "Am Bole Airport bekommen Sie als Deutscher ein Visum."

Warum denn fliegen? Auf meiner gesamten Reise war noch kein Flug nötig. Nicht einmal über die Ozeane. Und es gibt ja schließlich einen Landweg von Kampala über Kenia nach Äthiopien. "Kann man das Visum an der Grenze bekommen?" Eine rhetorische Frage von mir, denn die Antwort kenne ich.

"Nein."

Die Konsulin beruft sich immer wieder auf die "rules", die hier gelten. Und in Nairobi handelt die äthiopische Botschaft nach den gleichen Regeln, wie sie sagt. Am Ende kann ich sie aber doch dazu bewegen, meinen Letter of Introduction entgegenzunehmen. Sie will ihn nach oben weiterreichen. Bis zum Mittag bekäme ich per Mail Nachricht.

Frustriert laufe ich die vier Kilometer zu meiner Unterkunft zurück. Das Verrückteste ist, dass Reisende in Nordsüd-Richtung völlig problemlos das Äthiopienvisum in Kairo oder in Khartoum bekommen. Es sind nur die Botschaften südlich von Äthiopien, die sich so blöd anstellen.

Kampala ist hektisch, verteilt über viele Hügel in weitem Umkreis. Man hat den Eindruck, dass jeder Berufstätige genau am falschen Ende der Stadt wohnt und zu seinen Arbeitsplatz quer durch das Stadtzentrum anreisen muss. Morgens und am späten Nachmittag scheint sich die gesamte Bevölkerung Kampalas auf den Straßen zu drängeln. Motorräder schwirren in Schwärmen durch die Stadt, benutzen wegen der Enge gern auch den Bürgersteig, sofern es einen gibt. Fußgänger sind auch hier die Rechtlosen, sie müssen zusehen, wie sie sich unbeschadet am äußersten Rand der Straße entlangdrücken. Einmal streift mich ein Motorradtaxi mit drei Erwachsenen darauf.

Gegen Mittag kommt eine Mail aus dem Büro des äthiopischen Botschafters an: "Ihre Visumanfrage wurde abgelehnt."

Die Lage in Ostafrika. Seit Monaten ist klar, dass mein Weg nur durch das Nadelöhr Äthiopien/Sudan führen kann. Nun gibt es neben den Visumschwierigkeiten auch noch Unruhen in Äthiopien.

Wegen der allgemeinen Lage in Ostafrika gibt es keinen Weg an Äthiopien vorbei. Die Absage des Botschafters bedeutet, dass ich nun doch nach Nairobi muss. Zurück auf die Südhalbkugel, von der ich mich kurz vor Kampala bereits verabschiedet hatte. Am liebsten hätte ich mich auf den direkten Weg nach Äthiopien gemacht und die kenianische Hauptstadt damit nördlich umfahren.

Ich bin schlecht gelaunt und nicht sehr optimistisch. Es gab zwar schon Reisende, die das äthiopische Visum in Nairobi bekommen haben. Doch just in diesen Tagen verschärfen sich die Spannungen in Äthiopien, die inneren Unruhen breiten sich immer weiter aus. Der tiefe Grund liegt im gegenseitigen Misstrauen zwischen den vielen verschiedenen Volksgruppen. Bereits im Juli gab es schwere Ausschreitungen mit zahlreichen Toten in Gonder im Nordwesten des Landes. Und gestern kam es zu einem weiteren tragischen Zwischenfall, bei dem die Polizei mit Tränengas und Warnschüssen Panik in einer Menschenmenge verursachte und über 50 Menschen ums Leben kamen. Die Behörden haben nun sicherlich noch weniger Interesse daran, Ausländer überland einreisen zu lassen.

Die neuesten Entwicklungen verfolge ich in der kleinen Bar gegenüber meiner Unterkunft, die von einem Äthiopier geführt wird. Tashome stammt aus Nazreth südlich von Addis Ababa, er lebt aber schon seit 25 Jahren im Ausland. Nach dem Bürgerkrieg saß er Anfang der 90er-Jahre in Eritrea im Gefängnis - offenbar hat er für die falsche Seite gekämpft. Ich frage nicht genau nach. Selbst wenn er mir sagen würde, auf welcher Seite er stand, könnte ich nicht beurteilen, ob es die gute oder die schlechte war. Wer weiß schon, ob es überhaupt eine wirklich gute Seite gab?

Tashome

Direkt nach seiner Freilassung ging Tashome nach Kenia, inzwischen ist er in Uganda gelandet. Wir freunden uns in diesen Tagen an. Er lädt mich immer wieder zum Kaffee ein, den er in den kleinen, weißen Schälchen serviert, wie sie bei der Kaffeezeremonie in Äthiopien verwendet werden. Ob er denn hier auch Injera kriegt, diesen typischen, lappigen Fladen, frage ich ihn.

"Nein, Injera mache ich selbst."

"Oh, kannst du hier Teff kaufen?" - Teff ist die Grassorte im äthiopischen Hochland, aus deren kleinen Samen Injera hergestellt wird.

"Nein. Oder: ja. Aber es ist in Kampala viel zu teuer."

Tashome macht seine Injera aus Reis- und Weizenmehl. Dementsprechend ist der Lappen, den er produziert, nicht beigebraun, sondern fast weiß. Aber er hat den üblichen säuerlichen Geschmack einer originalen Injera. Tashome reicht mir eine Kostprobe, zusammen mit einigen Stückchen Fleisch darauf, scharf gewürzt mit Berbere. Bei ihm bin ich eigentlich jetzt schon in Äthiopien - ohne Visum.

 

Auf dem Weg von Kampala nach Nairobi beschließe ich, wegen der ungewissen Lage in Äthiopien so schnell wie möglich meinen Zweitpass einzusetzen, um das Visum in Berlin zu beantragen. Die Chancen in Nairobi sind zu gering, und der Versuch dort würde alles nur gefährlich lange verzögern. Dieser zweite Pass liegt bei meinem Siemens-Kollegen Martin in Nürnberg, und eigentlich liegt er dort, weil ich ihn erst später für das Sudanvisum einsetzen wollte.

Im kenianischen Städtchen Eldama Ravine gibt es wieder einmal Heiratsangebote. Da ich mich nicht entscheiden kann, führe ich meine Reise schließlich fort.

 

 

 

 

 

An einem Sonntagabend fülle ich zwischen zwei Radeltagen alle notwendigen Unterlagen aus und schicke sie unterschrieben per Mail an Martin. Er tütet sie zusammen mit dem Pass und einem Passfoto ein und schickt das Einschreiben gleich am Montag nach Berlin. Bereits vier Tage später gehen Pass und Visum per UPS auf die Reise nach Nairobi, wo "Campsite & Hostel Jungle Junction" eine zuverlässige Adresse ist. Dienstagfrüh kommt der Pass an. Ich blättere ihn auf - alles passt! Meine druckfrische Aufenthaltserlaubnis für Äthiopien gilt bis Mitte Januar.

Ganz herzlichen Dank an Dich, Martin!

Nun muss ich einen guten Weg durch Äthiopien finden. Inzwischen ist dort der Ausnahmezustand verhängt worden, Telefon- und Internetverbindungen wurden zumindest zeitweise gekappt. Einige Tage bin ich noch im einsamen Norden Kenias unterwegs und spätestens nach der Ausreise wohl für lange Zeit offline.

 
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