Pfefferspray

Ankunft in Kanada

14.7.2014 - McBride / Kanada (27657 km)

Kurz vor Mitternacht hat die Hanjin Ottawa im Hafen von Prince Rupert angelegt. Am nächsten Morgen geht alles recht schnell. Beamte von der Immigration kommen um acht Uhr an Bord, schauen sich meinen Pass an und fragen, ob ich in Kanada arbeiten will.

"Nein."

"Haben Sie Waffen dabei?"

"Nein, auch nicht."

"Keine Abwehrwaffen, Pfefferspray zum Beispiel?"

Oh! Pfefferspray habe ich. Zufällig. Das haben mir Heike und Julian überlassen, die deutschen Freunde, mit denen ich durch Myanmar gefahren bin. Sie brauchten es nicht mehr, und ich brauche es eigentlich auch nicht. Es ist weit außer Reichweite in den Packtaschen verstaut.

Die Route der Hanjin Ottawa von Shanghai nach Prince Rupert.

Selbst herausholen darf ich das Pfefferspray nicht, sondern muss auf die Tasche deuten, in der es steckt. Der Beamte wühlt und zieht die kleine Dose heraus. "Abgelaufen", bemerkt er.

Kann gut sein, ich hab's nicht kontrolliert.

"Und undicht ist es auch. Ich spüre es in den Augen."

Hm, das habe ich nicht festgestellt.

"Wir müssen es einbehalten. Aber gegen Bären können Sie das eh nicht verwenden, die lachen darüber."

Ach ja, Bären. Von denen hatte gestern der Lotse bei der Einfahrt in den Hafen schon erzählt. Es gebe hier sehr viele Bären, und zur Zeit seien sie wegen ihres Nachwuchses sehr aktiv.

Bis auf meine Waffen interessiert die Offiziellen nichts, ohne weitere Kontrollen kann ich das Schiff verlassen. Nach 15 Tagen habe ich im Containerhafen von Prince Rupert wieder festen Boden unter den Füßen.

Von der Gangway sind es nur ein paar Hundert Meter bis zum Ausgang des Hafens, aber die darf ich nicht radeln. Nicht einmal schieben. Auch nicht in Begleitung eines Hafenarbeiters. Es gibt da Bestimmungen, internationale Bestimmungen, eingeführt nach den Anschlägen vom 11. September 2001, in Kraft seit dem Jahr 2004. Frank, der als Agent in Prince Rupert die Hanjin Ottawa betreut, fährt mich und mein Gepäck in seinem Jeep aus dem Hafen heraus.

Die heimelige Jugendherberge in Prince Rupert.

Er begleitet mich dann auch noch zu dem Büro, in dem ich unterschreiben muss, dass ich wegen des einbehaltenen Pfeffersprays keine Ersatzansprüche stelle. Frank ist US-Amerikaner, lebt inzwischen aber seit 40 Jahren in Kanada, die letzten 15 Jahre in Prince Rupert. Derzeit habe die Stadt 16.000 Einwohner, erzählt er, aber in den nächsten Jahren werde sie auf 25.000 anwachsen. Der neue Containerhafen sei ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Container werden von hier per Eisenbahn weit ins Landesinnere transportiert. Frank will Prince Rupert bald den Rücken kehren und nach Hawaii umziehen. "Ich habe lang genug im Regen gelebt."

Prince Rupert ist berüchtigt für sein feuchtes Wetter. 220 Regentage soll es hier im Jahr geben. Auch heute regnet es. Verlassen und begossen stehe ich da, nachdem ich mich von Frank verabschiedet habe. Mir ist nicht gut. Ich habe mich in den letzten zwei Wochen an die Crew des Frachtschiffs gewöhnt, an den Tagesrhythmus, an meinen großzügigen Wohnraum. Jetzt fühle ich mich wie ausgesetzt, irre etwas orientierungslos in Prince Rupert herum.

Kunst im typischen Stil der Haida, eines Indianervolkes, das seit Jahrtausenden Teile der kanadischen Westküste bewohnt.

Als erstes ziehe ich Geld am Automaten der CIBT Bank. Und da beginnt Déjà-vu: Grüne Scheine kommen hervor, aus wasserfestem Material, mit dem Bild der Queen Elizabeth darauf und an einigen Stellen durchsichtig. Genau wie damals, im Herbst 2002, nach der Ankunft in Neuseeland. Es ist also gar keine Täuschung, es war wirklich schon einmal da. Jetzt fallen mir auch die anderen Parallelen auf, die dieses plötzliche Gefühl der Vertrautheit auslösen: der Regen, die bunten Holzhäuser, das Meer, die entspannten Menschen - und eben die Situation, dass ich gerade aus einer ganz anderen Welt angekommen bin.

Da ich in Shanghai weder Kanada-Reiseführer noch -Landkarten finden konnte, habe ich den neuen Kontinent praktisch ohne Informationen betreten. Es gibt noch keine Pläne, auf welchem Weg die Reise durch Kanada weitergehen soll. Fest steht nur, dass ich in fünf Wochen Hannelore und Wolfgang am Green Lake besuchen werde, 400 Kilometer nordöstlich von Vancouver. Die beiden sind vor einigen Jahren von Deutschland nach Kanada ausgewandert.

Prince Rupert an einem Sonnentag -- schnell raus und ein paar schöne Fotos machen!

 

 

Im "Pioneer Inn" bekomme ich von kanadischen Kajakfahrern einige Tipps, wie man sich auf die Bären vorzubereiten hat. Bear Spray sei angeraten und ganz wichtig ein 15 Meter langes Seil, damit ich meine Lebensmittel nachts in die Bäume liften kann. Fünf Meter hoch und mit mindestens zwei Metern Abstand vom Stamm. "Am einen Ende verknotest du den Packsack mit dem Proviant, an das andere Ende bindest du einen Stein, wirfst das Seil über den Ast und ziehst den Packsack hoch." Und nicht nur Lebensmittel sollte man so vor den Bären sichern, sagen sie, sondern auch aromatische Dinge wie Zahnpaste.

Im Yachthafen von Prince Rupert.

 

Ein kräftiges, geschmeidiges Seil findet sich in einem Marineladen, Bärenspray gibt's im Geschäft für Angler und Jäger. Nachdem unser Deal besiegelt ist, druckst der junge Verkäufer hinter dem Tresen noch etwas herum. Wie das Spray anzuwenden sei, wisse ich ja sicherlich, meint er vorsichtig. "Aber ich muss Sie trotzdem unterweisen. Es gab nämlich auch schon Besucher aus Europa, die dachten, Bärenspray ist wie Mückenspray: Sie haben versucht, sich selbst damit einzusprühen."

Jetzt habe ich also eine Riesenflasche Bear Spray, mit der ich - hoffentlich doch - im Notfall einen Bären umpusten kann. Das ist schon seltsam: Die Minidose Pfefferspray, mit der ich ihn nur kitzeln könnte, haben sie mir bei der Immigration abgenommen, weil es in ihren Augen eine "Waffe" ist. Hier habe ich nun völlig problemlos ein viel, viel größeres Kaliber erstanden.

Prince Rupert verlasse ich eines Morgens bei Nieselregen. Ich habe mich für eine Schleife durch den Osten British Columbias nach Alberta entschieden, in die kanadischen Rocky Mountains mit den Nationalparks von Jasper und Banff. Von dort werde ich dann wieder nach Westen schwenken und die Hütte von Hannelore und Wolfgang am Green Lake anpeilen.

Der ungemütliche Regen lässt auf dem Weg ins Landesinnere nach, ab und zu kommt die Sonne zwischen den Wolken hervor. Die Straße folgt zunächst dem Skeena-Fluss, der sich, breit wie ein See, den Weg durch die Berge bahnt. Die höheren Gipfel sind mit weißen Gletscherflecken gesprenkelt, die sich im Wasser einiger stiller Seen spiegeln. In den tieferen Lagen breiten sich schier endlos Nadelwälder aus. Das Land ist unberührt und wild. Auf den 140 Kilometern zwischen Prince Rupert und Terrace gibt es keine Ortschaft. Wenige Autos sind unterwegs - man grüßt sich im Vorbeifahren.

Nach gut 400 Kilometern taucht dann der erste Bär auf. Der ist so plötzlich da, dass überhaupt keine Zeit bleibt, zum Bear Spray zu greifen.

 
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